Mehrwertsteuer: Formale Mängel als Straftat?
von Peter Scheller
Formale Mängel bergen für Unternehmen insbesondere im Zoll- und Mehrwertsteuerrecht große wirtschaftliche Risiken. Böse Zungen sagen, dass dies vor allen daran liegt, dass Zoll- und Finanzbehörden die Abgabenfestsetzung als Strafmaßnahme nutzen. Das eigentlich hierfür vorgesehene Instrumentarium des Ordnungswidrigkeits- und Strafrechtes wird nur in wenigen Fällen bemüht. Steuern und andere Abgaben lassen sich eben einfacher erheben als „mühselig“ pflichtwidriges oder strafbares Handeln der Betroffenen nachzuweisen.
Formale Mängel: Fehlende Aufzeichnungen
Die Steuerfallen sind vielfältig. Eine Beschreibung aller möglicher Risiken dürfte ein Buch füllen. Wie weit das Handeln der Zoll- und Finanzbehörden von der Rechtsprechung gedeckt wird, zeigt nachfolgender Fall vor dem EuGH (Urteil vom 05.10.2016 – Rs. C-576/15):
Die Klägerin betreibt in Bulgarien einen Einzelhandel. Im Rahmen der Außenprüfung stellten die Finanzverwaltung fest, dass mehrere Geschäftspartner Rechnungen für gelieferte Waren erteilt hatten. Die Klägerin hatte die Rechnungen in ihren Aufzeichnungen nicht verbucht. Die bulgarische Finanzverwaltung ging davon aus, dass die Klägerin die Ware erhalten und an unbekannte Dritte veräußert hat. darauf hin setzte das Finanzamt Umsatzsteuer fest. Bemessungsgrundlage waren die Einkaufpreise zuzüglich eines üblicherweise verwendeten Aufschlagssatzes.
Entscheidung des EuGH
Der EuGH urteilte, dass die bulgarische Regelung unionsrechtskonform sei. Die Kernaussagen der Entscheidung sind teilweise bemerkenswert:
- Jeder Steuerpflichtige ist zum Führen angemessener Aufzeichnungen über steuerrelevante Geschäftsvorfälle verpflichtet.
- Diese Aufzeichnungen sind aufzubewahren.
- Würden entsprechende Aufzeichnungen nicht geführt, könnte dies eine genaue Erhebung der Steuern verhindern und ein ordnungsgemäßes Funktionieren des Mehrwertsteuersystems infrage stellen.
- Verstöße gegen Aufzeichnungspflichten dürfen durch die Mitgliedsstaaten als Steuerhinterziehung gewertet werden.
Gerade die letzte Aussage verstört: Ein formaler Verstoß als Steuerhinterziehung?
Gemeint ist wohl eher, dass Schätzungen oder vergleichbare Maßnahmen zulässig sind. Außerdem befreit sie die Finanzverwaltung weitgehend von lästigen Amtsermittlungspflichten. Die Einlassung der Klägerin, dass die Finanzverwaltung keinerlei Beweise für den tatsächlichen Empfang der Ware oder dessen Weiterverkauf vorlegen könne, spielte für den Gerichtshof keine Rolle.
Hinweis
Es gibt allerdings auch andere Urteile des EuGH, in denen dieser wegen des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer ein Scheitern einer Steuerbefreiung aufgrund einfacher formaler Mängel nicht zugelassen hat. Allerdings gilt dabei immer Folgendes:
In solchen Fällen dürfen keine konkreten Anhaltspunkt für ein Steuerhinterziehung bestehen.
Für Unternehmen gilt grundsätzlich: Formale Fehler sind so weit wie möglich zu vermeiden. Ansonsten riskiert man die Festsetzung von Abgaben oder Steuern, bestenfalls aber den Aufwand für rechtliche Auseinandersetzungen mit den Finanzbehörden.
Autor: Peter Scheller, Steuerberater – Master of International Taxation – Fachberater für Zölle und Verbrauchsteuern
Bildquelle: www.fotalia.com
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