Peter Scheller
Berater für Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte, Steuer- und Unternehmensberater

„Wenn es knifflig wird.“

Mehrwertsteuersystem im Umbruch

von Peter Scheller

Mehrwertsteuersystem im Umbruch

Das Mehrwertsteuersystem der Europäischen Union steht auf dem Prüfstand, soweit es um grenzüberschreitende Transaktionen geht. Dabei geht es insbesondere um Lieferungen und die Erbringung von Dienstleistungen im Raum der EU. Das aktuelle System ist in der Administration sehr aufwendig für Finanzverwaltung und Unternehmen. Darüberhinaus ist es betrugsanfällig. Die Europäische Kommission adressiert in einem aktuellen Arbeitspapier die Probleme und mögliche Lösungen für diese Schwierigkeiten.

Die Kommission stellt fest, dass die seit über 20 Jahren bestehende Übergangsregelung zu komplex ist, zu hohe Adminstrationskosten verursacht und rechtliche Unsicherheit auslöst. Außerdem ist es den Anforderungen einer sachgerechten Besteuerung elektronischer und digitaler Dienstleistungen nur unzureichend gewachsen.

In der Folge stellt die Kommission die beiden wesentlichen Faktoren fest, die für Besteuerung grenzüberschreitender Transaktionen von elementarer Bedeutung sind.

Ort der Leistungserbringung

Die Kommission spricht hier eigentlich von dem Ort, an dem die Besteuerung stattfindet (Place of taxation). Diese Begriffsbestimmung ist auch viel besser, weil sie deutlich macht, dass es nicht auf den Ort der physischen Leistungserbringung, sondern auf einen häufig fiktiv zu bestimmenden Besteuerungsort ankommt. Dieser Ort liegt in dem Staat, in dem eine Transaktion besteuert wird. Dabei können ganz unterschiedliche Kriterien maßgeblich sein, wie beispielsweise der Staat, in dem Güter transportiert werden oder der Sitz des Leistungsempfängers (Kunden) oder jeder andere plausible Anknüpfungspunkt.

Steuerschuldner

Die Kommission spricht von The person liable for payments of VAT to the tax authorities. Die Kommission stellt klar, dass dies nicht zwangsweise derjenige ist, der eine Lieferung oder Dienstleistung (in Deutschland sonstige Leistung genannt) ausführt. Alternativ kommt auch der Leistungsempfänger als Steuerschuldner im Rahmen des so genannten Reverse Charge-Verfahrens in Betracht.

In der Folge stellt die Kommission fünf denkbare Handlungsalternativen vor:

  • Option 1: Der leistende Steuerpflichtige (Unternehmer) stellt die Mehrwertsteuer (in Deutschland Umsatzsteuer genannt) desjenigen Mitgliedsstaates in Rechnung, in dem Gegenstände geliefert werden. Der Steuerpflichtige erklärt diese (ausländischen) Umsätze aber bei seinem eigenen lokalen Finanzamt, zahlt die Umsatzsteuer aber an die jeweilige ausländischen Steuerbehörde. Das soll es einfacher machen, mit den Anforderungen ausländischen Rechts fertig zu werden.
  • Option 2: Der leistende Steuerpflichtige berechnet Umsatzsteuer desjenigen Staates, in dem der Leistungsempfänger ansässig ist, und zwar unabhängig davon, wo Güter geliefert werden. Die (ausländische) Mehrwertsteuer ist an seine lokale Steuerbehörde zu zahlen und bei dieser anzumelden.
  • Option 3: Leistungen werden grundsätzlich dort besteuert, wo der Leistungsempfänger seinen Sitz hat. Der Leistungsempfänger (Kunde) ist Schuldner der Mehrwertsteuer (Reverse Charge).
  • Option 4: Ort der Leistung ist dort, wo Güter geliefert werden. Der Kunde ist Schuldner der Mehrwertsteuer.
  • Option 5: Das momentane System bleibt erhalten und wird vereinfacht. Dies gilt insbesondere für Konsignationslager, Reihengeschäfte und Nachweiserfordernisse.

Für die durch eine eingesetzte Expertengruppe auszuarbeitenden Vorschläge sind folgende Kriterien zu beachten:

  • Grenzüberschreitende Transaktionen sollen ähnlich einfach wie innerstaatliche Transaktionen werden. Übermäßige formale Anforderungen sollen den grenzüberschreitenden Handel und Dienstleistungsverkehr nicht behindern.
  • Die Auswirkungen sollen zu keinen grundlegenden Verschiebungen der Steuereinnahmen zwischen den beteiligten Staaten führen.
  • Kosten der Administration und Verwaltung sollen so niedrig wie möglich sein, ohne die Möglichkeit der Finanzverwaltung zur Prüfung grenzüberschreitender Transaktionen zu mindern.
  • Das neue System soll weniger betrugsanfällig sein.

Meine Einschätzung:

  • Die einzuhaltenden Kriterien sind nicht miteinander vereinbar. Maßnahmen wie Kostensenkung und Aufwandsminderung stehen im Gegensatz zur Steuerkontrolle und dem Ziel der Vermeidung von Steuerbetrug. Schon das jetzige System zeigt, dass durch Steuerpolitiker und Finanbehörden immer der Kontrolle und der Missbrauchsverhinderung Priorität eingeräumt wird. Das wird auch in einem (partiell) anderen System nicht anders werden.
  • Ferner wird man schnell feststellen, dass eine grundlegende Änderung des Systems zu Verschiebungen der Steuereinnahmen zwischen den Staaten führen wird. Solche Verschiebungen können nur mit einem so genannten Clearing-System beseitigt werden, indem die Staaten mit Mehreinnahmen einen Teil davon an solche mit Mindereinnahmen abgeben. Die Einführung eines solchen Systems würde aber  Zusatzkosten und einen riesigen Implementierungsaufwand erfordern.
  • Option 1 ist ein verwirrter Vorschlag, der eigentlich nur von Theoretikern gemacht werden kann. Erklärungs- und Zahlungspflicht fallen aueinander; in einem Staat werden Voranmeldungen abgegeben und die fälligen Steuern werden im anderen Staat bezahlt. Da stellt sich sofort die Frage, in welchem Staat eigentlich die Steuerkontrolle durchgeführt werden soll. Wer führt jetzt eigentlich die Umsatzsteuersonderprüfungen durch? Die Finanzverwaltung eines Staates  wird zum Erfüllungsgehilfen der Finanzverwaltung des anderen Staates. Und für die Unternehmen ergeben sich neue Herausforderungen. Sie müssen nämlich das Umsatzsteuerrecht des Zielstaates in Bezug auf die Steuerfreiheit bestimmter Umsätze, die Anwendung ermäßigter Steuersätze und auch spezieller Nachweispflichten kennen.
  • Die Option 2 wirkt zu schön um wahr zu sein. Die bisher notwendige Unterscheidung zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen könnte dratsisch reduziert werden. Außerdem könnte man bei richtiger Gestaltung Leistungen an Unternehmer (B2B) und an Endkunden (B2C) gleich behandeln. Beides wären erhebliche Vereinfachungen zum bisherigen System. Beim zweiten Hinsehen werden aber sofort die Schwierigkeiten deutlich. Der Heimatstaat des Steuerpflichtigen muss die Steuerveranlagungen, die Steuerkontrolle und vor allen Dingen die Steuervereinnahmung für den anderen Staat durchführen. Das bedeutet, dass es zu einem Clearing zwischen den Staaten kommen muss, weil ansonsten die Steuereinnahmen zwischen den Staaten verschoben werden (siehe oben). Für die Unternehmen ergeben sich dieselben Schwierigkeiten hinsichtlich der Anwendung des ausländischen Rechts wie in Option 1.
  • Bei Option 3 fällt sofort auf, dass dieser Systemansatz bei Leistungserbringungen an Nichtunternehmer nicht funktionieren kann. Privatleute wird man schwerlich zu Steuerschuldnern mit allen damit zusammenhängende Pflichten machen können. Diese Option führt dazu, dass die Behandlung von Leistungen an Unternehmer und Nichtunternehmer zwangsläufig unterschiedlich bleiben muss.
  • Option 4 ist für den Praktiker wieder vollkommen abstrus. Diese Regelung führt nämlich dazu, dass sich Unternehmer in anderen Staaten umsatzsteuerlich registrieren lassen müssen, wenn folgende Konstellation eintritt. Unternehmer mit Sitz im Staat A liefert an Unternehmer mit Sitz in Staat B Waren in den Staat C. Unternehmer B muss sich im Staat C umsatzsteuerlich registrieren lassen. Das ist dann kein Problem, wenn Unternehmer B im Staat C sowieso eine Niederlassung hat oder dort regelmäßig Geschäfte tätigt. Dann macht eine umsatzsteuerliche Registrierung ggf. Sinn. Für unregelmäßig auftretende Geschäfte ist dies aber ein echter Hemmschuh für den freien Warenverkehr. Man stelle sich vor, Unternehmer B ließe sich Waren in alle EU-Mitgliedsstaaten liefern. Dann müsste er sich in 28 Staaten umsatzsteuerlich registrieren lassen.
  • Hinzuweisen ist außerdem darauf, dass ein neues System wahrscheilich dazu führen würde, dass Leistungsbeziehungen in der EU anderen Regeln als solche mit Drittstaatenbezug folgen müssten.
  • Es gibt eigentlich nur einen Weg, den wesentlichen Teil der Probleme zu lösen. Man implementiere ein europaweites Mehrwertsteuerrecht unter Verwaltung einer zentralen europäischen Finanzbehörde. Dann hätte man nur noch das Problem der „gerechten“ Verteilung der Steuereinnahmen auf die Mitgliedsstaaten. Aber das wird nicht passieren, würde es doch den einzelnen Nationalstaaten in der EU ihre größte Einnahmenquelle hoheitrechtlich entreißen. Eine politsch vollkommen illusorische Idee. So etwas hat nicht einmal in den USA geklappt, wo bis heute die einzelen Unionsstaat weitreichende eigene Steuerhoheiten behalten haben.

Am Schluss ein persönliches Schlusswort. Für den steuerlichen Berater bleibt das Thema unglaublich spannend. Womit wird uns das Expertenteam überraschen? Für die betroffenen Unternehmen sehe ich kein Licht am Ende des Tunnels. Ganz egal, was sich die Experten ausdenken werden; nachhaltig leichter wird es für Unternehmen wahrscheinlich nicht werden. Dafür werden die nationalen Steuerpolitiker und Finanzverwaltungen schon sorgen.

Autor: Peter Scheller, Steuerberater – Master of International Taxation

Bildquelle: www.fotalia.com

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