Peter Scheller
Berater für Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte, Steuer- und Unternehmensberater

„Wenn es knifflig wird.“

Umsatzsteuerbetrug: Unwissen schützt vor Strafe nicht!

von Peter Scheller

Grundsätzlich führen Steuerhinterziehung und Umsatzsteuerbetrug bei Aufdeckung immer zu außerordentlich nachteiligen Folgen. Unternehmen müssen mit Steuernachforderungen, Zinsen und Bußgeldern rechnen. Geschäftsführer oder andere Mitarbeiter sehen Strafverfahren ins Auge. Eine neue Dimension steuerlichen Risikopotentials eröffnet jetzt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 18.12.2014 in der Rechtssache Italmoda (C-131/13). Auch das Wissen von betrügerischen Handlungen anderer kann eigene steuerliche Risiken von erheblichen Umfang auslösen.

Der Ausgangsfall ist relativ gewöhnlich, würde es sich nicht um ein betrügerisches Karussellgeschäft handeln. Der Sachverhalt ist etwas vereinfacht dargestellt:

Italmoda ist eine Gesellschaft niederländischen Rechts, dass in den Jahren 1999 und 2000 Handel mit Schuhen und Datenverarbeitungsmaterial betrieb. Italmoda erwarb das Material in Deutschland und den Niederlanden und verkauft dieses an einen italienischen Kunden. Der Kunde war in Italien mehrwertsteuerpflichtig.

Für die in den Niederlanden erworbenen Waren wurde Vorsteuer geltend gemacht. Der Erwerb des Materials aus Deutschland wurde in Deutschland weder als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung noch in den Niederlanden als innergemeinschaftlicher Erwerb angemeldet, obwohl der Umsatz in Deutschland steuerfrei war. Der Kunde meldet den Erwerb des Materials in Italien nicht an. Die italienischen Steuerbehörden unterwarfen den Erwerb der Mehrwertsteuer und versagten den Vorsteuerabzug.

Die niederländischen Steuerbehörden waren der Ansicht, Italmoda sei wissentlich an einem Steuerbetrug beteiligt gewesen, mit dem in Italien Mehrwertsteuer hinterzogen werden sollte. Es versagt deshalb die Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Lieferung nach Italien sowie den Vorsteuerabzug bzw. die Vorsteuererstattung aus dem Erwerb der Ware aus Deutschland.

Es ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen, worin genau der Steuerbetrug in Italien bestanden hat. Für das Urteil ist das aber auch nicht von Belang.

Das Urteil ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert und klärt Rechtsfragen, die bisher ungeklärt waren. Die verschiedenen Aussagen des Urteils machen deutlich, weshalb die Entscheidung besonders ist.

  • Italmoda werden Vorteile wie Steuerfreiheit und Vorsteuerabzug versagt, obwohl es den Umsatzsteuerbetrug selbst gar nicht begangen hat.
  • Italmoda wird darüberhinaus auch mehrfach „bestraft“; nämlich einerseits wird ihm die Steuerfreiheit für die innergemeinschaftliche Lieferung nach Italien versagt. Andererseits wird der innergemeinschaftliche Erwerb des Materialbezugs aus Deutschland in den Niederlanden der Mehrwertsteuer unterworfen, der Vorsteuerabzug aus dem Erwerb aber versagt. Damit wird im Ergebnis zumindest auf das Material, dass aus Deutschland bezogen wurde, zweimal niederländische Mehrwertsteuer erhoben.
  • Besonders ist auch, dass die steuerlich nachteiligen Folgen in einem anderen Staat – nämlich in den Niederlanden – gezogen wurden, der Umsatzsteuerbetrug aber in einem anderen Staat – nämlich Italien –  begangen wurde.
  • Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass Italmoda in den Niederland formal keine Fehler begangen und alle Vorgänge richtig erklärt hatte.
  • Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch, dass die Niederlande in den entsprechenden Jahren keine nationalen gesetzlichen Regelungen hatte, die für solche Fälle eine Steuerbefreiung oder den Vorsteuerabzug ausgeschlossen hätten.

Gleichwohl urteilt der Gerichtshof, das Steuerbefreiung, Vorsteuererstattung und Vorsteuerabzug zu versagen sind, selbst wenn der Umsatzsteuerbetrug in einem anderen Mitgliedsstaat durchgeführt wurde und im Heimatsstaat alle formalen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Rechte erfüllt waren.

Die Urteilsbegründung liefert einige Hinweis, die rechtspolitisch interessant und für die Praxis auch sehr hilfreich sind:

  • Der EuGH führt aus, dass die Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und etwaigen Missbräuchen ein Ziel des europäischen Mehrwertsteuerrechtes ist. Außerdem betont er, dass eine Berufung auf Unionsrecht bei betrügerischen oder missbräuchlichen Handlungen nicht erlaubt ist. Dies gilt für die Geldendmachung jedweden Vorteils des Mehrwertsteuerrechts, also für Steuerbefreiungen, Vorsteuerabzug oder Mehrwertsteuererstattung.
  • Interessant ist, dass dies auch gilt, wenn das nationale Recht entsprechende beschränkende Regelungen gar nicht vorsieht. Das ist insoweit bemerkenswert, weil das europäische Mehrwertsteuerrecht auf Richtlinien beruht. EU-Richtlinien entfalten aber nie eine direkte rechtliche Verpflichtung für den Einzelnen, sondern bedürfen erst der Umsetzung in nationales Recht. Das könnte den Schluss zulassen, dass eine fehlende nationale Regelung zur Begrenzung steuerlicher Vorteile einen Ausschluss dieser Vorteile ausschließe. Dieser Argumentation schließt sich der Gerichtshof nicht an. Seiner Auffassung erlege die Richtlinie in einem solchen Fall dem Steuerpflichtigen keine Verpflichtungen auf, sondern es werden die objektiven Voraussetzungen für die Erlangung des angestrebten Vorteils, die die Richtlinie vorschreibt, nicht erfüllt. Das hätte man sicherlich auch anders sehen können.
  • Der EuGH führt aus, dass sich Italmoda mit Erfolg auch nicht auf die Grundsätze des Vertrauensschutzes oder der Rechtssicherheit berufen kann.
  • Die Versagung der steuerlichen Vorteile habe auch nicht den Charakter einer Strafe oder Sanktion. Das gerade die mehrfache Erhebung von Mehrwertsteuer wie eine Strafe wirkt, scheint für den Gerichtshof dabei unerheblich.
  • Fast beiläufig bemerkt der EuGH, dass nationale Behörden und Gerichte in Missbrauchs- und Betrugsfällen steuerliche Vorteile auch ohne Vorliegen nationaler Regelungen versagen müssen. Das bedeutet, dass man in Zukunft bei steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen oder beim Vorsteuerabzug in Deutschland nicht nur die entsprechenden Rechtsvorschriften der §§ 6a oder 15 UStG heranziehen muss, sondern in Verdachtsfällen auch die Beurteilungskriterien dieses Urteils.
  • Für die Praxis am wichtigsten ist die Aussage des Gerichtshofes, dass dies nur gilt, wenn der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich im Rahmen von innergemeinschaftlichen Lieferungen an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist. Das ein Unternehmen und seine Vertreter mit steuerlichen Nachteilen, Bußgeldern und Strafen rechnen müssen, wenn das Wissen nachgewiesen werden kann, versteht sich von selbst. Die Problematik liegt in der Formulierung „hätte wissen müssen“. Der Nachweis des tatsächlichen Wissens ist also gar nicht erforderlich. Bedeutet das, dass das Unternehmen bei Vorliegen gewisser Verdachtsmomente weitere Nachforschungen anstellen muss? Was sind solche Verdachtsmomente? Oder muss ein Unternehmen grundsätzlich immer prüfen, ob Geschäftspartner ordnungsgemäß in ihren Heimatländern versteuern? Man kann nur hoffen, dass Finanzbehörden und Gerichte die Anforderungen an Prüfungsverpflichtungen nicht unverhältnismäßig hoch ansetzen.
  • Rechtspolitisch ist das Urteil aus einer Sichtweise heraus problematisch. Im vorliegende Fall bilden nämlich die Ermittlungen und Feststellungen der italienischen Steuerbehörden die Grundlage für die Annahme der niederländischen Steuerbehörden, dass ein Steuerbetrug vorliegt. Was ist aber, wenn der Fall in Italien rechtlich oder tatsächlich gar nicht so eindeutig war, sich der italienische Kunde gegen die Feststellung des Fiskus nicht oder nicht ausreichend zur Wehr gesetzt hat und möglicherweise in einem Gerichtsverfahren die Entscheidung der italienischen Finanzbehörde aufgehoben worden wäre. Der niederländische Lieferant hat auf das Verhalten seines Kunden keinen Einfluss und ebenso wenig auf behördliche und gerichtliche Verfahren in Italien. Aufgrund letzterer wurde in diesem Fall aber erst die niederländische Behörde tätig. Ob Unternehmen in vergleichbaren Fällen in ihren Möglichkeiten zur Verteidigung der eigenen Rechtsposition nicht unzulässig beschnitten werden, wäre zumindest bei nicht eindeutigen Fällen zu prüfen.

Autor: Peter Scheller, Steuerberater – Master of International Taxation

Bildquelle: www.fotolia.com

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